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Soreco in Vietnam: Das grosse Interview


Soreco in Vietnam: Das grosse Interview
Soreco in Vietnam: Das grosse Interview

Seit Mai 2010 entwickelt der Schweizer ERP-Hersteller die neue Generation seiner Lösungen in Ho Chi Minh City. Warum und wie die Schweizer Software-Firma in Vietnam produziert, erklärte uns Entwicklungs-Chef Daniel Gauch anlässlich eines Besuchs vor Ort.


“Aussichtslos”. So bezeichnet Soreco-Entwicklungschef Daniel Gauch im Gespräch mit inside-it.ch den Versuch, für die Entwicklung der neuen Versionen der Lösungen von Soreco rasch (innert einem Jahr) genügend (ungefähr 30) Software-IngenieurInnen in der Schweiz zu rekrutieren. Soreco habe, so Gauch, schlicht zu wenig Bekanntheit und auch zu geringe finanzielle Mittel, um die nötigen Fachleute in der Schweiz anzuheuern. Getroffen haben wir Gauch in der vietnamesischen “Software-Fabrik” der Luzerner Firma Axon Active, wo bereits 35 meist junge Leute für Soreco arbeiten.


Im Mai 2010 war Soreco, nachdem ein Versuch mit Partnern in der Ukraine wenig Erfolg gezeigt hatte, mit einem Team in Ho Chi Minh City gestartet. Doch klassische Offshore-Entwicklung betreibt Soreco nicht, sagt der Entwicklungsleiter im Gespräch. Aufgaben, wie

die Rekrutierung der Mitarbeitenden, die Gründung der Firma, die Einhaltung der Gesetze, die Schaffung eines guten Betriebsklimas und vieles mehr übernimmt Axon Active. Anders als beim projektorientierten Offshoring bildete Soreco zudem gemischt schweizerisch-vietnamesische Teams, die nach dem SCRUM-Prinzip an neuen Modulen für die Soreco-Software-Familien arbeiten. In nicht allzu langer Zeit wird man sehen, ob die Ziele realistisch waren, denn noch dieses Jahr sollen die ersten Zusatzmodule im Bereich Recruitment und Skills-Management den Kunden übergeben werden.


Was bedeutet der Entscheid, künftige Versionen der Soreco-Business-Lösungen teilweise in Vietnam zu entwickeln? Wie verändert sich das Berufsbild der Programmierer in der Schweiz – und wie verändert sich das Leben der involvierten Software-Spezialisten? Lesen Sie unser Gespräch, das letzte Woche in Ho Chi Minh City geführt worden ist.


Offshore und die Folgen in der Schweiz


Ich habe hier in Ho Chi Minh City eine eindrückliche kleine Software-Fabrik angetroffen. Gibt Soreco die Entwicklung in der Schweiz nun auf? Haben Sie Entwickler entlassen?

Daniel Gauch: Im ERP-Bereich hatten wir bisher keine Java-Entwicklung in der Schweiz und verlagern deshalb nichts. Die Betreuung und Weiterentwicklung der bestehenden Produkte, die mit ‘CA Plex’ (eine Entwicklungsumgebung aus der iSeries-Welt) gebaut wurden, bleiben in der Schweiz. Ausserdem findet die Entwicklung der Software ja nicht nur bei den Leuten statt, die Code schreiben, sondern auch dort, wo man die Bedürfnisse des Marktes analysiert. Das muss in der Nähe des Kunden, also in der Schweiz, passieren.


Wir entwickeln hier in Vietnam einen komplett neuen Technologie-Stack. Unser erstes Team hier baut ein Zusatzmodul im Bereich Recruitment. Überhaupt werden wir nicht zuerst die Kernprodukte in Angriff nehmen, sondern eher unabhängige Zusatzprodukte entwickeln. Für uns wäre der Versuch,in der Schweiz ein Entwicklungscenter mit vielleicht 30 Leuten in nur einem Jahr aufzubauen fast aussichtlos.


Dann könnte man Soreco aber vorwerfen, zu lange mit dem Technologie-Sprung gewartet zu haben, so dass ihr nun praktisch auf der anderen Seite der Erde entwicklen müsst?


Daniel Gauch: Nein, wir haben nichts verpasst. Die Situation war schon vor ein paar Jahren ähnlich und ich glaube, wir sind ziemlich gut innerhalb des Zyklus, in dem Software erneuert werden sollte.


Die alten Versionen von Xpert.Line werden irgend einmal abgelöst. Dann wird es keine oder nur noch wenige Entwicklerstellen in der Schweiz geben?


Daniel Gauch: Die Ablösung wird nicht so bald passieren. Wir haben noch heute Kunden, die auf der Vorgänger-Versionen von Xpert.Line, also mit grün-schwarzen Bildschirmen arbeiten und diese Software wird auch heute noch weiter entwickelt. Wir brauchen weiterhin Leute, die sich mit der damaligen Enwicklungsumgebung ‘Synon/2E’ auskennen. ‘CA Plex’ wird also sicher noch 10 Jahre lang ein Thema sein.


Ein 55-jähriger Programmierer könnte sich also sagen, er wolle noch 10 Jahre mit ‘CA Plex’ arbeiten. Ein 45-Jähriger muss sich aber überlegen, ob er lernen soll, Requirements für Vietnam zu schreiben?


Daniel Gauch: Sich das Ziel zu setzen, ein ‘Product Owner’ (nach der SCRUM-Methode ist der ‘PO’ die Brücke zwischen Anwender und Entwicklungsteam) zu werden, könnte ein Weg zu sein. Oder ein Entwickler in der Schweiz kann den Sprung in die Java-Welt machen. Denn die Produkte die heute in Vietnam entwickelt werden, werden künftig teilweise in der Schweiz weiter programmiert, beispielsweise bei Anpassungen für Kunden. Auch der grosse Teil der Software für kleinere, kundenspezifische Projekte wird nie Offshore entwickelt werden können. Aber es besteht für Entwickler keine Eile, sich zu entscheiden. Es gibt verschiedene Wege und unsere Welt wird sich nicht in einigen Monaten verändern.


Es gibt für ProgrammiererInnen künftig Wege in Richtung Business – als PO -, Richtung Wartung der bestehenden Lösungen, in Richtung neue Technologien wie Java und Xpert.ivy oder in Richtung Kundenprojekte.


Was soll jemand tun, der nicht gerne mit Kunden zu tun hat und sich nicht mit neuen Technologien auseinandersetzen möchte?


Daniel Gauch: Man kann nicht Software nur aus Liebe zur Technologie machen, sondern sie muss den Kunden einen Nutzen bringen. Also haben Entwickler mit Kunden zu tun.


Die Programmier-Methode SCRUM scheint für Euer Offshore-Projekt wichtig zu sein. Warum?

Daniel Gauch: Entscheidend in der Offshore-Entwicklung ist Feedback. Mit SCRUM haben wir alle zwei Wochen Feedback mittels eines lauffähigen Produkts. Meiner Erfahrung nach funktioniert der Wasserfall-Ansatz, wo man alle Anforderungen für Software, die man in einem Jahr dann einmal haben möchte, auf einmal spezifiziert, nicht. Der Ansatz funktioniert meiner Meinung nach in der Schweiz nicht und schon gar nicht Offshore.


Gerade, wenn es eine grosse Distanz zwischen Enwicklern und Auftraggebern gibt, muss man laufend spüren können, was läuft. Wichtig ist mir auch Agilität, also, dass sich Anforderungen an die neue Software mit der Zeit auch ändern können. Sie verändern sich vor allem dann, wenn der Kunde die Anwendung sieht. Dann kann er sagen, wo er noch Änderungen und Ergänzungen möchte.


Sprechen wir über Geld. Wieviel billiger ist die Entwicklung in Ho Chi Minh City als in der Schweiz?


Daniel Gauch: Wenn man die Stellen in der Schweiz, Reisen und Kommunikation einberechnet, so kostet ein Team hier etwa 40 Prozent eines Teams in der Schweiz. Doch nur etwa 25 Prozent des Budgets für ein Software-Projekt, bei dem wir in Vietnam entwickeln, werden auch hier ausgegeben. Der grösste Teil der Wertschöpfung passiert auch bei Offshore-Programmierung in der Schweiz.


Welche Schwierigkeiten und Hürden haben Sie im Vietnam-Projekt angetroffen?


Daniel Gauch: Man muss ein solches Projekt in der Schweiz richtig verkaufen können. Als Chance, die es zu nutzen gilt, damit die die Firma überhaupt überleben kann und dass es nicht nur um Geld geht. Ja – es ist günstiger, aber wir sahen auch keine Alternativen. Und man muss die Leute zu Hause davon überzeugen, dass sich die Arbeitsplätze verändern.


Haben Leute in der Schweiz wegen “Vietnam” ihre Stelle gekündigt? Und umgekehrt: Was sind die grössten Probleme hier in Ho Chi Minh City?


Daniel Gauch: Es gab eine gewisse Unruhe. Aber wir konnten das Unbehagen mit offener Kommunikation abbauen. So haben wir zum Beispiel einen kleinen Film gemacht, in dem man sehen konnte, dass Kollegen mit einer engen Bindung zur Firma in Ho Chi Minh Stadt arbeiten.


Hier in Vietnam ist es schwierig, Entwickler mit langjähriger Erfahrung zu finden. Viele grössere Firmen siedeln sich hier an und suchen Leute. Darauf muss man reagieren. Zum Beispiel müssen und wollen wir aus der Schweiz in Vietnam bei grundlegenden Architektur-Fragen mithelfen.


Das heisst, die Schweizer Teammitglieder müssen bereit sein, viel und lange zu reisen?

Daniel Gauch: Wir haben in der Zusammenarbeit mit der Ukraine gelernt, dass die Bereitschaft zu reisen sowieso eine Voraussetzung für Offshore-Entwicklung ist.


Fassen wir zusammen. Was sind die wichtigsten Voraussetzungen, damit ein Offshore-Software-Entwicklung funktioniert?


Daniel Gauch: Erstens: Agiles Vorgehen. Zweitens: “Be on site”. Drittens: Integrieren Sie die Entwicklungs-Abteilungen da (Schweiz) und dort (Vietnam): Es darf kein “wir” und “sie” geben, sondern nur ein “wir”. Viertens: tägliche Kommunikation. Fünftens: Die Mitarbeitenden in der Schweiz müssen bereit sein, auf Augenhöhe mit den Menschen hier zu kommunizieren. Von “oben herab” funktioniert das Modell nicht.


Was sind Ihre Ziele für das Engagement in Vietnam? Wo werdet ihr 2015 stehen?


Daniel Gauch: Ich möchte die Kompetenzen der Mitarbeitenden in Vietnam ausbauen. Auch damit wir fähig werden, grössere Kundenprojekte hier umzusetzen. (Gespräch: Christoph Hugenschmidt)


(Foto: hc. Welche Tagesszeit haben die Kollegen in Bolligen?)


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